Sebastian Haffner (1907–1999)
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- Sebastian Haffner, Die sieben Totsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg
Bergisch Gladbach 1982 (1964) - Sebastian Haffner1918/19 Eine deutsche Revolution
Bergisch Gladbach 1982 (1964)
"Lernen, endlich lernen!"
Aber der Krieg und die Niederlage waren nicht "Schicksal". Sie waren das Ergebnis falscher Einschätzungen, falscher Entscheidungen und falscher Maßnahmen deutscher Regierungen, die meist die Zustimmung der deutschen Öffentlichkeit hatten [...] Wir wollen nicht richten, wir wollen lernen – aus harten, schweren, teuer bezahlten Erfahrungen endlich lernen. Wer das will, darf den Vorwurf nicht scheuen, dass man natürlich klüger ist, wenn man vom Rathause kommt. Wäre man es doch nur! Nachträgliche Weisheit mag billig sein, aber besser als das Verharren im Irrtum ist sie allemal.
Haffner Seite 8f
Freilich wollten auch die Nachfolger Bismarcks nicht, wie später Hitler, Krieg um des Krieges willen. Aber sie wollten jetzt Dinge, die ohne Krieg nicht zu haben waren.
Haffner Seite 12
Das war kein Verbrechen; das war nach damaligen Begriffen ihr gutes Recht. Aber es war ein furchtbarer Fehler, und er war die Ursache des Ersten Weltkriegs,
Haffner Seite 13
Jede Sünde beginnt mit einer Gedankensünde, und jeder Fehler beginnt als Denkfehler.
Haffner Seite 13
Von den Tatsachen aus gesehen wäre ein Status-quo-Friede ein Geschenk des Himmels für Deutschland gewaswn. Von den deutschen Wunsch- und Zielvorstellungen aus gesehen war es so gut wie eine Niederlage. Deutschland blickte nicht auf die Tatsachen, sondern auf seine Wunsch- und Zielvorstellungen, wie sie das seither ununterbrochen getan hat und auch heute noch tut. Es gibt einen Namen für diese Art Geisteskrankheit: Realitätsverlust.
Haffner Seite 137
Der Schlieffenplan war ein typisches Produkt militärischen Jugendstils, kopflastig und dünnstengelig.
...
Er war ein Plan, der um eines ungewissen Erfolges willen ein sicheres Übel in Kauf nahm.Haffner Seite 56
Entscheidende Fehler im gesamtstrategischen Konzept sind durch noch so glänzende Detailleistungen im operativen Bereich nicht wieder einzuholen.
Haffner Seite 56
Ihre Argumente waren tatsächlich bestechend. Noch heute klingen sie bestechend, wen man vergisst, was man seither weiss; und man mag daraus lernen, wie einleuchtend sich sich auch für die grössten und katastrophalen Fehler werben lässt.
Haffner Seite 60
Die Geschichte des U-Bootkrieges ist, auf beiden Seiten, eine Blamage von Fachleuten. Weder die deutschen noch die britischen Marinefachleute hatten dieses einfache, und wie sich erweis, durchschlagende Gegenmittel [das Geleizugssystem] vorher ernsthaft in Betracht gezogen, und zwar aus dem instinktivem Gedanken heraus, dass Geleitzüge ja noch massiertere Ziele bieten würden als weit verstreut fahrende Schiffe. Was sie dabei übersahen, war – seltsam für Seeleute – die Ausdehnung des Seekriegsschauplatzes. In den Weiten der Meere bilden Geleitzüge wie einzelne Schiffe nur einen winzigen Punkt. Aber es gab nun plötzlich viel weniger solcher Punkte, ...
Haffner Seite 33
Es war ein rein psychologisches Hindernis in der Brust der Verantwortlichen, der ihnen nicht zur Ehre gereicht: eine innere Unfähigkeit, sich die Lage einzugestehen und das Scheitern der eigenen Pläne vor sich zuzugeben. Wie leichter, einfach weiterzumachen, als ob nichts geschehen wäre! Noch war ja sozusagen nichts geschehen. Man wird an die Geschichte vom Dachdecker erinnert, der vom Dach eines Wolkenkratzers herunterfällt und seinen Kollegen auf halber Höhe zuruft: "Bis jetzt geht es mir noch ausgezeichnet!"
Haffner Seite 104
Wieder und wieder Fehlentscheidungen ins Blaue hinein, ohne Erforschung und Analyse der Lage, ohne vergleichende Prüfung und Abwägung von Alternativen, ohne Beziehung zu den tatsächlich jeweils gestellten Aufgaben und Problemen; wieder und wieder eine Hans-guck-in-die-Luft-Politik, die die Stufe verfehlt, die Treppe herunterfällt und das Bein bricht, wähtend sie den Kopf in den Wolken hat.
Haffner Seite 133
Für die Unfähigkeit, die Rückwirkung eigener Handlungen und Haltung auf fie Betroffenen vorauszuberechnen und zu veranschlagen, bietet die Politik des Deutschen Reiches wie der Bundesrepublik zu viele und zu krasse Beispiele, als das es sich lohnte, sie im Einzelnen aufzuzählen.
Haffner Seite 137
Aber über die grundsätzlich falsche Einstellung, die sich aus der deutschen Unfähigkeit zur Distanz, also aus der Weigerung ergibt, die klare Unterscheidung und die richtige Beziehung zwischen selbst und Aussen anzuerkennen, muss noch ein Wort gesagt werden.
Haffner Seite 1137
Die bundesrepublikanische Politik ist insofern ein Negativabdruck der kaiserlichen. Wenn das Kaiserreich Belgier und Polen, Nalten, Finnen und Ukrainer, ja schliesslich Turkmenen und Transkaukasier zu ungefragten Gliedstaten eines deutschen Grossreichs machen wollte, so sucht die Bundesrepublik verzweifelt nach einem amerikanisch-atlantischen oder französisch-europäischen Grossreich, dessen Gliedstaat sie ihrerseits werden könnte. Eine bescheidenwürdige, verantwortliche Eigenexistenz, die andere möglichst zufrieden lässt, war und ist beiden völlig uninteressant,; und doch ist ist es genau dies, was die Aussenwelt, jede Aussenwelt, von Deitschland, jedem Deutschland, wie von jedem anderen erwartet.
Haffner Seite 138
Die Vergeltung
Es gibt eine Ballade der Anette von Droste-Hülshoff, die Eberts Schuld aufs genaueste vorzeichnet.
Jemand hat bei einem Schiffbruch einen Mitpassagier ermordet, indem er ihn von der rettenden Planke gestossen hat. Zufällig hat sich ihm das Fabrikationszeichen der Planke eingeprägt: "Batavia 510".
Der Mord wird nie ruchbar.
Aber als der Mörder landet, wird er irrtümlich für einen lange gesuchten Seeräuber gehalten unschuldig zum Tode verurteilt unf zur Hinrichtung geführt.Und als er in des Hohnes Stolze
will starren nach der Äther Höhn'
da sieht er in des Galgens Holze
Batavia 510.Das Gedicht heisst: Die Vergeltung
Sebastian Haffner 1918/19