Robert M.Pirsig (1928)

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Krupp

Seine Lenkstange saß nicht mehr ganz fest. Es sei nicht schlimm, sagte er, sie rutsche nur durch, wenn man sie stark belaste. Ich riet ihm davon ab, mit seinem Rollgabelschlüssel an die Muttern zu gehen. Dadurch würde wahrscheinlich der Chrom Schrammen kriegen, und kleine Rostflecke wären die Folge. Er sah ein, daß wir besser meine metrischen Steckschlüssel nehmen würden.

Als er seine Maschine herüberbrachte, holte ich die Schlüssel heraus, stellte dann aber fest, daß es nichts nützen würde, die Muttern fester anzuziehen, weil die Enden der Halteklammern schon aneinanderstießen.

»Da wirst du was unterlegen müssen«, sagte ich.

»Und wie geht das?«

»Du brauchst einen schmalen Streifen dünnes Blech. Den legst du einfach unter die Klammer da um den Lenker; dadurch wird das Rohr dicker, und die Klammer läßt sich wieder ganz festziehen. Man nimmt solche Unterlegstücke bei allen Arten von Maschinen zum Ausgleichen.«

»Aha«, sagte er. Sein Interesse war geweckt. »Also gut. Und wo bekomme ich das Ding?«

»Ich hab' was hier«, sagte ich und hielt ihm freudestrahlend eine alte Bierdose hin.

Im ersten Moment begriff er nicht. Dann fragte er ungläubig: »Was, die Dose?«

»Klar«, sagte ich, »das beste Unterlegmaterial, das du dir denken kannst.«

Ich fand das eine ausgesprochen gute Idee. Er sparte sich damit eine Fahrt weiß Gott wohin, um Unterlegmaterial zu kaufen, sparte Zeit, sparte Geld.

Aber zu meiner Überraschung hielt er von dieser Idee überhaupt nichts. Er wurde sogar verdammt überheblich. Er brachte auf einmal alle möglichen Ausflüchte und Entschuldigungen vor, und ehe ich noch recht begriffen hatte, was eigentlich mit ihm los war, hatten wir uns geeinigt, den Lenker nun doch nicht festzumachen.

Soviel ich weiß, ist der Lenker immer noch nicht festgemacht. Und ich glaube heute, daß er damals regelrecht beleidigt war. Ich hatte ihm zugemutet, seine neue Achtzehnhundert-Dollar-BMW, den Stolz eines halben Jahrhunderts deutscher Mechanikerkunst, mit einem Stück Blech von einer alten Bierdose zu reparieren!

Du meine Güte!

Seitdem haben wir nur noch sehr selten über Fragen der Motorradwartung gesprochen. Überhaupt nicht mehr, um genau zu sein.

Man geht noch einen Schritt weiter, und auf einmal ist man verärgert, ohne zu wissen warum.

Ich muß noch dazusagen, daß Bierdosen-Aluminium weich und schmiegsam ist, wie Metall es nur sein kann. Für den Zweck ideal. Aluminium oxydiert nicht bei feuchtem Wetter – oder, genauer gesagt, es ist immer mit einer feinen Oxydschicht überzogen, die jeder weiteren Oxydation vorbeugt. Also auch in der Hinsicht ideal.

Mit anderen Worten: Jeder echte deutsche Mechaniker mit einem halben Jahrhundert handwerklicher Erfahrung hinter sich wäre zu dem Schluss gekommen, daß diese besondere Lösung für dieses besondere technische Problem ideal sei.

Eine Zeitlang glaubte ich zu wissen, wie ich es hätte anstellen sollen. Ich hätte unbemerkt an die Werkbank gehen, ein Unterlegstück aus der Bierdose schneiden, den Aufdruck entfernen und dann zurückkommen und ihm sagen sollen, wir hätten Glück, das sei das letzte Stück, das ich noch hätte, eigens aus Deutschland importiert. Das hätte gewirkt. Ein Spezial-Unterlegstück aus dem Privatbesitz von Baron Alfried Krupp, der es weit unter Selbstkostenpreis habe verkaufen müssen. Dann hätte er sich darum gerissen.

[Pirsig] Seite 59f

"Heureka!"

 Ich weiß nicht, wieviel Gedankenarbeit er aufwenden mussste, bis er das erkannte, aber schließlich sah er jedenfalls, daß Qualität nicht einseitig mit dem Subjekt oder dem Objekt in Beziehung gesetzt werden konnte, sondern nur in der gegenseitigen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu finden war. Das ist der Punkt, an dem Subjekt und Objekt sich treffen.

Hier wurde es warm.

Qualität ist kein Ding, sie ist ein Ereignis.

Noch wärmer.

Sie ist das Ereignis, in dem das Subjekt das Objekt gewahrt.

Und weil es ohne Objekt kein Subjekt geben kann – weil die Objekte erst bewirken, daß das Subjekt sich seiner selbst bewußt wird –, ist Qualität das Ereignis, in dem das Gewahrwerden sowohl von Subjekten als auch von Objekten möglich wird.

Heiss.

Jetzt wußte er, daß er auf dem richtigen Weg war.

Das bedeutet, Qualität ist nicht einfach nur das Ergebnis einer gegenseitigen Berührung von Subjekt und Objekt. Die Existenz von Subjekt und Objekt wird überhaupt erst von dem Qualitätsereignis abgeleitet. Das Qualitätsereignis ist die Ursache der Subjekte und Objekte, die dann fälschlich für die Ursache der Qualität gehalten werden!

Jetzt hatte er das ganze verdammte üble Dilemma an der Gurgel gepackt. Unter dem Dilemma hatte die ganze Zeit unbemerkt diese schnöde Annahme gesteckt, die logisch nicht zu rechtfertigen war, die Annahme, daß Qualität die Wirkung von Subjekten und Objekten sei. Sie war es nicht! Er zückte sein Messer.

»Die Sonne der Qualität«, schrieb er, »dreht sich nicht um die Subjekte und Objekte unserer Existenz. Sie erhellt sie nicht bloß passiv. Sie ist ihnen in keiner Weise untergeordnet. Sie hat sie erschaffen. Sie sind ihr untergeordnet!«

Und in dem Moment, als er das schrieb,wusste er, dass er einen Höhepunkt des Denkens erreicht hatte, nach dem er lange Zeit unbewusst gestrebt hatte.

"Blauer"Himmel", schreit Chris.

[Pirsig] Seite 252f

Jagd

Ich weiß nicht, wieviel Gedankenarbeit er aufwenden mussste, bis er das erkannte, aber schließlich sah er jedenfalls, daß ...

[...]

Hier wurde es warm.

[...]

Noch wärmer.

[...]

Heiss.

[...]

Jetzt wußte er, daß er auf dem richtigen Weg war.

[...]

Jetzt hatte er das ganze verdammte üble Dilemma an der Gurgel gepackt. Unter dem Dilemma hatte die ganze Zeit unbemerkt diese schnöde Annahme gesteckt, die logisch nicht zu rechtfertigen war, die Annahme, daß ...

Und in dem Moment, als er das schrieb, wusste er, dass er einen Höhepunkt des Denkens erreicht hatte, nach dem er lange Zeit unbewusst gestrebt hatte.

"Blauer"Himmel", schreit Chris.

[Pirsig] Seite 252f