Robert M.Pirsig (1928)

bei wikipedia

Krupp

Seine Lenkstange saß nicht mehr ganz fest. Es sei nicht schlimm, sagte er, sie rutsche nur durch, wenn man sie stark belaste. Ich riet ihm davon ab, mit seinem Rollgabelschlüssel an die Muttern zu gehen. Dadurch würde wahrscheinlich der Chrom Schrammen kriegen, und kleine Rostflecke wären die Folge. Er sah ein, daß wir besser meine metrischen Steckschlüssel nehmen würden.

Als er seine Maschine herüberbrachte, holte ich die Schlüssel heraus, stellte dann aber fest, daß es nichts nützen würde, die Muttern fester anzuziehen, weil die Enden der Halteklammern schon aneinanderstießen.

»Da wirst du was unterlegen müssen«, sagte ich.

»Und wie geht das?«

»Du brauchst einen schmalen Streifen dünnes Blech. Den legst du einfach unter die Klammer da um den Lenker; dadurch wird das Rohr dicker, und die Klammer läßt sich wieder ganz festziehen. Man nimmt solche Unterlegstücke bei allen Arten von Maschinen zum Ausgleichen.«

»Aha«, sagte er. Sein Interesse war geweckt. »Also gut. Und wo bekomme ich das Ding?«

»Ich hab' was hier«, sagte ich und hielt ihm freudestrahlend eine alte Bierdose hin.

Im ersten Moment begriff er nicht. Dann fragte er ungläubig: »Was, die Dose?«

»Klar«, sagte ich, »das beste Unterlegmaterial, das du dir denken kannst.«

Ich fand das eine ausgesprochen gute Idee. Er sparte sich damit eine Fahrt weiß Gott wohin, um Unterlegmaterial zu kaufen, sparte Zeit, sparte Geld.

Aber zu meiner Überraschung hielt er von dieser Idee überhaupt nichts. Er wurde sogar verdammt überheblich. Er brachte auf einmal alle möglichen Ausflüchte und Entschuldigungen vor, und ehe ich noch recht begriffen hatte, was eigentlich mit ihm los war, hatten wir uns geeinigt, den Lenker nun doch nicht festzumachen.

Soviel ich weiß, ist der Lenker immer noch nicht festgemacht. Und ich glaube heute, daß er damals regelrecht beleidigt war. Ich hatte ihm zugemutet, seine neue Achtzehnhundert-Dollar-BMW, den Stolz eines halben Jahrhunderts deutscher Mechanikerkunst, mit einem Stück Blech von einer alten Bierdose zu reparieren!

Du meine Güte!

Seitdem haben wir nur noch sehr selten über Fragen der Motorradwartung gesprochen. Überhaupt nicht mehr, um genau zu sein.

Man geht noch einen Schritt weiter, und auf einmal ist man verärgert, ohne zu wissen warum.

Ich muß noch dazusagen, daß Bierdosen-Aluminium weich und schmiegsam ist, wie Metall es nur sein kann. Für den Zweck ideal. Aluminium oxydiert nicht bei feuchtem Wetter – oder, genauer gesagt, es ist immer mit einer feinen Oxydschicht überzogen, die jeder weiteren Oxydation vorbeugt. Also auch in der Hinsicht ideal.

Mit anderen Worten: Jeder echte deutsche Mechaniker mit einem halben Jahrhundert handwerklicher Erfahrung hinter sich wäre zu dem Schluss gekommen, daß diese besondere Lösung für dieses besondere technische Problem ideal sei.

Eine Zeitlang glaubte ich zu wissen, wie ich es hätte anstellen sollen. Ich hätte unbemerkt an die Werkbank gehen, ein Unterlegstück aus der Bierdose schneiden, den Aufdruck entfernen und dann zurückkommen und ihm sagen sollen, wir hätten Glück, das sei das letzte Stück, das ich noch hätte, eigens aus Deutschland importiert. Das hätte gewirkt. Ein Spezial-Unterlegstück aus dem Privatbesitz von Baron Alfried Krupp, der es weit unter Selbstkostenpreis habe verkaufen müssen. Dann hätte er sich darum gerissen.

[Pirsig] Seite 59f

"Heureka!"

 Ich weiß nicht, wieviel Gedankenarbeit er aufwenden mussste, bis er das erkannte, aber schließlich sah er jedenfalls, daß Qualität nicht einseitig mit dem Subjekt oder dem Objekt in Beziehung gesetzt werden konnte, sondern nur in der gegenseitigen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu finden war. Das ist der Punkt, an dem Subjekt und Objekt sich treffen.

Hier wurde es warm.

Qualität ist kein Ding, sie ist ein Ereignis.

Noch wärmer.

Sie ist das Ereignis, in dem das Subjekt das Objekt gewahrt.

Und weil es ohne Objekt kein Subjekt geben kann – weil die Objekte erst bewirken, daß das Subjekt sich seiner selbst bewußt wird –, ist Qualität das Ereignis, in dem das Gewahrwerden sowohl von Subjekten als auch von Objekten möglich wird.

Heiss.

Jetzt wußte er, daß er auf dem richtigen Weg war.

Das bedeutet, Qualität ist nicht einfach nur das Ergebnis einer gegenseitigen Berührung von Subjekt und Objekt. Die Existenz von Subjekt und Objekt wird überhaupt erst von dem Qualitätsereignis abgeleitet. Das Qualitätsereignis ist die Ursache der Subjekte und Objekte, die dann fälschlich für die Ursache der Qualität gehalten werden!

Jetzt hatte er das ganze verdammte üble Dilemma an der Gurgel gepackt. Unter dem Dilemma hatte die ganze Zeit unbemerkt diese schnöde Annahme gesteckt, die logisch nicht zu rechtfertigen war, die Annahme, daß Qualität die Wirkung von Subjekten und Objekten sei. Sie war es nicht! Er zückte sein Messer.

»Die Sonne der Qualität«, schrieb er, »dreht sich nicht um die Subjekte und Objekte unserer Existenz. Sie erhellt sie nicht bloß passiv. Sie ist ihnen in keiner Weise untergeordnet. Sie hat sie erschaffen. Sie sind ihr untergeordnet!«

Und in dem Moment, als er das schrieb,wusste er, dass er einen Höhepunkt des Denkens erreicht hatte, nach dem er lange Zeit unbewusst gestrebt hatte.

"Blauer"Himmel", schreit Chris.

[Pirsig] Seite 252f

Frage

Die logischen Aussagen, die in das Notizbuch eingetragen werden, fallen unter sechs Kategorien: (1) Formulierung des Problems, (2) Hypothesen über die Ursache des Problems, (3) Experimente zur Überprüfung jeder dieser Hypothesen, (4) vorhergesagte Resultate der Experimente, (5) beobachtete Resultate der Experimente und (6) Schlußfolgerungen aus den Resultaten der Experimente. Das unterscheidet sich nicht von der formalen Anordnung in den Laborjournalen, wie sie an vielen Universitäten und Höheren Schulen geführt werden, nur geht es hier nicht mehr bloß darum, die Leute zu beschäftigen. Es geht jetzt darum, präzise Leitlinien für Gedankengänge zu schaffen, die andernfalls ihr Ziel verfehlen.1

[Pirsig] Seite 113

Der eigentliche Zweck der wissenschaftlichen Methode ist es, sich zu vergewissern, ob die Natur einen nicht zu der falschen Annahme verleitet hat, man wüßte etwas, was man in Wirklichkeit nicht weiß. Es gibt keinen einzigen Mechaniker oder Wissenschaftler oder Techniker, der darunter nicht schon so gelitten hätte, daß er nicht instinktiv davor auf der Hut wäre. Das ist der Hauptgrund, warum so viele wissenschaftliche und technische Texte so langweilig und vorsichtig klingen. Wenn man leichtsinnig wird oder wissenschaftliche Informationen romantisch verbrämt und da und dort einen Schnörkel anbringt, macht einen die Natur bald zum vollendeten Narren. Das gelingt ihr ohnehin oft genug, auch wenn man sie nicht geradezu herausfordert. Man muß äußerst vorsichtig und streng logisch sein im Umgang mit der Natur: ein einziger logischer Schnitzer, und ein ganzes wissenschaftliches Gebäude stürzt in sich zusammen. Ein einziger falscher deduktiver Schluß über die Maschine, und man sitzt auf unabsehbare Zeit fest.

[Pirsig] Seite 113

Diese Vorsicht bei der Formulierung der Ausgangsfragen bewahrt einen davor, eine grundfalsche Richtung einzuschlagen, die einen Wochen zusätzlicher Arbeit kosten oder sogar endgültig in eine Sackgasse führen kann. Wissenschaftliche Fragen haben aus diesem Grund häufig den äußeren Anschein von Dummheit. Man stellt sie aber, um dumme Fehler im weiteren Verlauf zu vermeiden.

[Pirsig] Seite 114

Ein Mann, der mit Frankenstein-Apparaturen für fünfzigtausend Dollar einem staunenden Publikum effektvolle naturwissenschaftliche Versuche vorführt, betätigt sich damit nicht wissenschaftlich, sofern er schon im voraus weiß, welche Ergebnisse seine Bemühungen zeitigen werden. Ein Motorradmechaniker hingegen, der das Horn betätigt, um festzustellen, ob die Batterie funktioniert, führt, wenn auch informell, ein echtes wissenschaftliches Experiment durch. Er testet eine Hypothese, indem er die Frage an die Natur richtet. 

[Pirsig] Seite 114

Er testet eine Hypothese, indem er die Frage an die Natur richtet. Der Wissenschaftler auf dem Fernsehschirm, der bekümmert konstatiert, »Das Experiment ist fehlgeschlagen, das von uns erhoffte Resultat ist ausgeblieben«, sollte sich einen fähigeren Manuskriptschreiber suchen. Ein Experiment ist niemals bloß deshalb ein Fehlschlag, weil es nicht zu vorhergesagten Resultaten führt. Ein Experiment ist erst dann ein Fehlschlag, wenn es nichts über die Richtigkeit der aufgestellten Hypothese aussagt, wenn die Daten, die es erbringt, weder in der einen noch in der anderen Richtung etwas beweisen

[Pirsig] Seite 115f

Ein ungeübter Beobachter wird nur die physische Arbeit sehen und oft den Eindruck bekommen, daß der Mechaniker vor allem physische Arbeit leistet. In Wirklichkeit ist die physische Arbeit die geringste und leichteste seiner Aufgaben. Bei weitem der größte Teil seiner Arbeit besteht in sorgfältigem Beobachten und präzisem Denken. Das ist der Grund, weshalb einem Mechaniker manchmal so wortkarg und in sich gekehrt vorkommen, wenn sie Tests durchführen. Sie mögen es dann nicht, wenn man sie anredet, weil sie sich auf geistige Bilder konzentrieren, auf Hierarchien, und eigentlich weder den Störenfried noch das Motorrad sehen. Mit dem Experiment versuchen sie, ihr Wissen von der Hierarchie des defekten Motorrads zu erweitern und diese mit der korrekten Hierarchie zu vergleichen, die sie im Kopf haben. Sie betrachten die innere Form.

[Pirsig] Seite 116

Diese Geringschätzung des Experiments, das die Mu-Antwort geliefert hat, ist nicht gerechtfertigt. Die Mu-Antwort ist in Wahrheit bedeutsam. Aus ihr erfährt der Wissenschaftler, daß der Kontext seiner Frage zu klein ist für die Antwort der Natur und daß er ihn erweitern muß. Das ist eine sehr bedeutsame Antwort! Sein Wissen um die Natur wird dadurch wesentlich erweitert, und das war ja der ursprüngliche Zweck seines Experiments. Es wäre nicht einmal weit hergeholt, zu behaupten, daß die Wissenschaft durch ihre Mu-Antworten mehr wächst als durch ihre Ja- oder Nein-Antworten. Ja oder nein bestätigt oder widerlegt eine Hypothese. Mu besagt, daß die Antwort jenseits der Hypothese liegt. Mu ist das »Phänomen«, das in erster Linie wissenschaftliches Forschen inspiriert! Es ist daran nichts Mysteriöses oder Esoterisches. Wir sind nur durch unsere Kultur so verbildet, daß wir es geringschätzen.

[Pirsig] Seite 340

Jagd

Ich weiß nicht, wieviel Gedankenarbeit er aufwenden mussste, bis er das erkannte, aber schließlich sah er jedenfalls, daß ...

[...]

Hier wurde es warm.

[...]

Noch wärmer.

[...]

Heiss.

[...]

Jetzt wußte er, daß er auf dem richtigen Weg war.

[...]

Jetzt hatte er das ganze verdammte üble Dilemma an der Gurgel gepackt. Unter dem Dilemma hatte die ganze Zeit unbemerkt diese schnöde Annahme gesteckt, die logisch nicht zu rechtfertigen war, die Annahme, daß ...

Und in dem Moment, als er das schrieb, wusste er, dass er einen Höhepunkt des Denkens erreicht hatte, nach dem er lange Zeit unbewusst gestrebt hatte.

"Blauer"Himmel", schreit Chris.

[Pirsig] Seite 252f